Bürokratieentlastung im Handwerk – Anregungen des Unternehmerverbandes Handwerk NRW für das Entfesselungspaket VI der Landesregierung
Bürokratie ist ein ernstes Problem für die deutsche Wirtschaft. Die Gesamtkostenbelastung der Unternehmen durch Bürokratie wird auf 46 Milliarden Euro geschätzt; hiervon entfallen 84 Prozent auf kleine und mittlere Unternehmen. Die Zunahme im Umfang des Bundesgesetzblattes von ca. 1000 Seiten in den fünfziger Jahren auf aktuell über 3.700 Seiten kann als Symbol für die Bürokratisierung unseres Rechtsstaates dienen. Landesgesetze, kommunale Satzungen sowie die Verordnungen der Europäischen Union sind hier wohlgemerkt nicht mit eingerechnet. Als besonders stark wird die Bürokratie in den Bereichen Steuern, Sozial- und Arbeitsrecht empfunden. Aber auch die Statistik, das Umweltrecht und der Bereich der Genehmigungen und Produktanforderungen belasten viele Unternehmen unnötig.
Dringend erforderlich ist deshalb ein systematischer Ansatz zur Entbürokratisierung. Die Bausteine einer mittelfristigen, ordnungspolitisch orientierten Strategie zum Bürokratieabbau heißen: Effizientere Verfahren, Schaffung von Anreizen und Wettbewerb und Mut zur Generalisierung. Viele Regelungen und viele Gesetzesvorhaben fallen naturgemäß nicht immer in die Zuständigkeit des Landes. Sie kommen aus der Feder der Kommunen, des Bundes oder der Europäischen Union. Es nutzt aber nichts, wenn jede Ebene auf die jeweils andere Ebene verweist. Notwendig ist auch ein politisches Umdenken und eine stärkere Berücksichtigung kleinbetrieblicher Belange bei der Gesetzgebung auf allen Ebenen. Jedes Gesetz sollte auf seine Folgen für die Betriebe überprüft werden, so wie es das Mittelstandsförderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen in der Mittelstandsverträglichkeitsprüfung von Landesgesetzen eigentlich auch schon jetzt vorsieht.
Nordrhein-Westfalen ist mit der Entfesselungsoffensive und den Entfesselungspaketen zum Abbau unnötiger und belastender Vorschriften für Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft bereits mit gutem Beispiel vorangegangen.
Der Bürokratieabbau in Nordrhein-Westfalen muss aber fortgesetzt und auf weitere Bereiche ausgeweitet werden. Im Hinblick auf das für dieses Jahr angekündigte Entfesselungspaket VI zum Abbau von Informations-, Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten werden seitens des Unternehmerverbandes Handwerk NRW folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
Kleine Bauvorlagenberechtigung
Eine wirksame Maßnahme zur Entbürokratisierung im Genehmigungsbereich ist die „Kleine Bauvorlagenberechtigung“ für Handwerksmeister. Entsprechende Regelungen zur Bauvorlageberechtigung bestehen bereits in acht anderen Bundesländern und tragen dazu bei, dass das Bauen einfacher und preiswerter wird. Bedauerlicherweise wurde bei der letzten Novellierung der BauO NRW eine Bauvorlageberechtigung für entsprechend qualifizierte Handwerksmeister-innen und -meister trotz unserer mit Nachdruck erhobenen Forderung nicht eingeführt. Gerade Meisterinnen und Meister des Maurer- und Betonbauer-Handwerks sowie des Zimmerer-Handwerks verfügen über die notwendige Qualifikation, die es rechtfertigt, eine Bauvorlageberechtigung für Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 bis 3 einzuräumen. Da es die „Kleine Bauvorlageberechtigung“ zurzeit schon in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gibt, ist es für Handwerksbetriebe in NRW schwer verständlich, dass ein hoch-qualifizierter Betrieb in Niedersachsen Bauvorlagen für ein Einfamilienhaus, das er vollständig selbst geplant hat, erstellen kann, nicht aber im benachbarten Nordrhein-Westfalen. Für die „Kleine Bauvorlageberechtigung“ spricht auch, dass der Bauherr alle Leistungen von der Entwurfsverfassung über die Ausführungsplanung bis hin zur Bauausführung aus einer Hand erhält. Dadurch können die Bauprozesse optimiert werden, die Baukosten gemindert, die Baukonjunktur belebt und entsprechende Steuereinnahmen generiert werden. In den Ländern, wo es die „Kleine Bauvorlageberechtigung“ bereits gibt, hat sich diese durchaus bewährt. Die Regelungen in diesen Bundesländern haben dort zur Entbürokratisierung, zur Beschleunigung und zur Kostenreduzierung von einfachen Bauvorhaben beigetragen. Es ist weder zu einer Niveauabsenkung noch zu einer Gefährdung von Verbraucherinteressen oder Sicherheitsstandards gekommen. Auch das immer wieder vorgebrachte Argument, dass es keinen entsprechenden Versicherungsschutz für gleichzeitig planende und bauende Handwerksbetriebe gäbe, ist nicht stichhaltig. Bisher ist diese Problematik in den 8 Bundesländern mit „Kleiner Bauvorlageberechtigung“ nicht erkennbar. Das Baugewerbe NRW will mit seiner Forderung in keiner Weise in genuine Aufgabenfelder von bauvorlageberechtigten Architektinnen und Architekten und Ingenieurinnen und Ingenieuren eingreifen. Auf eine gute Zusammenarbeit mit diesen Berufsgruppen wird von uns großer Wert gelegt. Insbesondere die Bauvorlageregelungen für größere Vorhaben werden von uns als ausschließliche Aufgabe von Architektinnen und Architekten und Ingenieurinnen und Ingenieuren nicht in Frage gestellt.
Abschaffung der Gebühren für Regelkontrollen im Lebensmittelhandwerk
Die Pflichtgebühr für nichtanlassbezogene Kontrollen führt zu unverhältnismäßigen Belastungen für kleinere und mittlere Unternehmen aus dem Lebensmittelhandwerk. Kostensteigerungen können vom regional aufgestellten Lebensmittelhandwerk wegen des Preiswettbewerbs mit Discountern und großflächigem Einzelhandel nicht einfach an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Zudem wird der eigentlich gewünschte Dialog zur Verbesserung bestimmter Hygienemaßnahmen zwischen Kontrollbeamten und Lebensmittelunternehmen wegen der Kostenabrechnung im Viertelstundentakt kaum noch stattfinden. Wir appellieren deshalb an die Landesregierung die, zu der früheren Regelung zurückzukehren oder die Gebühren für Regelkontrollen im Lebensmittelhandwerk ganz abzuschaffen.
Registrierkassen – Bonausgabepflicht
Die Belegausgabepflicht ist für alle bargeldintensiven Unternehmen in der Abgabenordnung seit dem 1.1.2020 verbindlich geregelt. Dies bedeutet, dass zu jedem Verkauf, ungefragt, ein Beleg ausgedruckt und dem Kunden zur Verfügung gestellt werden muss; ganz gleich, ob der Kunde einen solchen Bon haben möchte. Um zu verhindern, dass Umsätze nicht ordnungsgemäß kassiert werden, ist eine zusätzliche Belegausgabepflicht, die den Papierverbrauch steigert und den Bedienvorgang verlangsamt, aufgrund der Sicherung der Geschäftsvorfälle durch eine zertifizierte technische Sicherungseinrichtung an den Kassen nicht erforderlich. Wir gingen zunächst davon aus, dass sich durch das große Medienecho, das dieses Thema erfahren hat, Änderungen in der Durchführung des Gesetzes ergeben würden. Eine pragmatische Erleichterung könnte dabei die Einführung einer Bagatellgrenze von 10 Euro sein. Leider hält das Bundesfinanzministerium bisher unverändert an der Belegausgabepflicht fest. Wir bitten daher die Landesregierung um eine Bundesratsinitiative zur Einführung einer Bagatellgrenze.
Dokumentationspflichten
Die Dokumentationspflichten aus verschiedenen Gesetzen tragen wesentlich zur Bürokratiebelastung unserer Betriebe bei. Eindeutig auf Platz 1 der Belastungen stehen die Dokumentationspflichten der Datenschutzgrundverordnung. Sie sind äußerst umfangreich und kompliziert und überfordern viele Handwerksbetriebe branchenübergreifend. Konkret bedarf es Erleichterungen bei den Informationspflichten, der Auftragsverarbeitung und der Zertifizierung sowie wirksamer Ausnahmen bei Dokumentationspflichten. Gleiches gilt für die gesetzlichen Hinweis- und Informationspflichten. Die Notwendigkeit, einen Datenschutzbeauftragten zu bestellen, stellt für viele Betriebe ebenso eine Belastung dar wie die Sorge vor Abmahnungen wegen kleinster formeller Verstöße . Bisher haben gem. § 38 Abs. 1 S. 1 BDSG nichtöffentliche Stellen einen Datenschutzbeauftragten zu benennen, wenn in der Regel mindestens 10 Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigt werden. Diese Mindestanzahl sollte auf 50 Personen erhöht werden. In Betrieben, die keinen Datenschutzbeauftragten benötigen, sollte das schriftliche Verarbeitungsverzeichnis und das Dokumentieren von technischen und organisatorischen Maßnahmen entfallen. Zur zügigen Umsetzung der Erleichterungen bitten wir um Unterstützung des Antrages des Bundeslandes Niedersachsen zu einer Entschließung des Bundesrates zur Änderung datenschutzrechtlicher Bestimmungen (Drucksache 144/19).
Auch im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitsstättenverordnung wurden die Dokumentationspflichten in den letzten Jahren immer weiter erhöht. Inzwischen muss für nahezu jede Situation eine schriftliche Gefährdungsbeurteilung erstellt werden. Die Mitarbeiter müssen über alle erdenklichen Gefahren aufgeklärt und unterwiesen werden. Auch dies ist wiederum schriftlich zu dokumentieren. Die novellierte Arbeitsstättenverordnung umfasst überdies eine Vielzahl überzogener Anforderungen an die Ausstattung von Arbeitsplätzen und Sozialräumen.
Die seit 2015 bestehenden Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten nach dem Mindestlohngesetz zwingen rund 9 Millionen Arbeitnehmer täglich, ihre Arbeits- und Pausenzeiten zu notieren. Die damit verbundenen Mehrkosten liegen nach vorsichtigen Schätzungen im dreistelligen Millionenbereich. Bei den regelmäßigen Prüfungen der Entgeltabrechnungen durch die Deutsche Rentenversicherung und anderer Sozialversicherungsträger findet eine ausreichende Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohnes statt. Deshalb sollten für allgemeinverbindliche tarifvertragliche Mindestentgelte Grenzen eingeführt werden, ab der keine Aufzeichnungspflichten mehr bestehen. Die Mindestlohndokumentation ist darüber hinaus generell zu vereinfachen, hier insbesondere die Dokumentation der Arbeitszeiten.
Auch das 2018 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz enthält eine Vielzahl von zusätzlichen Informations- und Berichtspflichten, die zu einem erheblichen Mehraufwand für die Unternehmen führen.
Aufbewahrungspflichten
Erforderlich ist ein neuer politischer Anlauf zur Verkürzung der steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen (10 Jahre) von Buchungsbelegen, Lieferscheinen, Rechnungen und EC-Belegen. Wir bitten die Landesregierung um eine erneute Bundesratsinitiative zur Verkürzung der Aufbewahrungspflichten.
GoBD
Die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) sind eine Verwaltungsanweisung des Bundesministerium der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland. Die Regelungen zum Umgang mit elektronischen Rechnungen sind für Handwerksbetriebe unnötig kompliziert und erfordern erheblichen zusätzlichen Aufwand und verursachen Kosten. Um elektronische Rechnungen als Empfänger nutzen zu dürfen, müssen zuerst Softwarelösungen angeschafft und gepflegt werden, dazu kommen Kosten für die Schulung des Personals. Gerade kleinere Betriebe wollen das oft nicht, werden aber von Lieferanten immer mehr gedrängt, solche Lösungen für viel Geld einzurichten. Das Problem wäre leicht zu beheben, indem das Ausdrucken einer elektronisch erhaltenen Rechnung und die Behandlung dieses Ausdrucks wie eine schriftlich erhaltene Rechnung gestattet würde. Dadurch kann einerseits der Versender das elektronische Verfahren nutzen, andererseits der Empfänger weiterhin mit der Papierrechnung arbeiten. Wenn eine Papierrechnung geprüft werden soll, ist es für die Finanzbehörden eigentlich irrelevant, ob der Rechnungsersteller die Rechnung ausdruckt und per Post verschickt, oder ob erst beim Empfänger ausgedruckt wird. Gerade für kleinere Betriebe bedeutet die derzeitige Pflicht zur elektronischen Aufbewahrung aber erheblichen Mehraufwand. Für Betriebe muss daher die Möglichkeit geschaffen werden, elektronisch erhaltene Rechnungen auszudrucken und dann in jeglicher Hinsicht (Aufbewahrung etc.) zu behandeln, als wären sie in Papierform eingegangen.
Statistische Meldepflichten
Die Gewinnung der erforderlichen Daten durch die Statistikabfrage des Statistischen Bundesamtes und der Statistischen Landesämter muss belastungsärmer gestaltet werden. Es sollte eine Mindestgröße für die Betriebe eingeführt werden, aber der eine Teilnahme an der Statistik verpflichtend ist. Die zu erhebenden Daten müssen so gestaltet sein, dass der Betrieb sie ohne allzu großen Aufwand ermitteln und übertragen kann. Die Möglichkeiten der elektronischen Datenerfassung und –verknüpfung müssen ausgeweitet und vertieft werden. Insgesamt sollten Aufwand und Nutzen zueinander in einem vernünftigen Verhältnis stehen, um den Koordinations- und Verwaltungsaufwand in den Betrieben möglichst gering zu halten.
Freie Berufsschulwahl für Ausbildungsbetrieb auch über die Bundeslandgrenzen hinweg
Gemäß § 46 Abs. 5 (Schulgesetz NRW) hat jeder Ausbildungsbetrieb den Anspruch, dass seine Auszubildenden das zum Ausbildungsbetrieb nächstgelegene Berufskolleg besuchen können, in dem eine entsprechende Fachklasse eingerichtet ist. Mit Einverständnis des Ausbildungsbetriebs kann ein Auszubildender ein anderes, insbesondere wohnortnäheres Berufskolleg, an dem eine entsprechende Fachklasse eingerichtet ist, besuchen. Das ist geltendes Landesrecht. Für Ausbildungsbetriebe und Auszubildende mit grenznaher Lage zu anderen Bundesländern ist die Fachklasse einer Berufsschule oft viel näher, darf aber nicht besucht werden. Das Land NRW verbietet das vom Grundsatz her, kann jedoch im Einzelfall erlauben, dass ein „Landeskind“ in einem anderen Bundesland unterrichtet wird. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der damit einhergehenden Konzentration von Berufsschulstandorten ist diese formale Einschränkung nicht zumutbar. Hier ist das Land gefragt, in Abstimmung mit den benachbarten Bundesländern zu Regelungen zu kommen, die eine länderübergreifende Wahlmöglichkeit für solche Fälle vorsehen, sofern die aufnehmenden Berufsschulen dafür Kapazitäten haben.
Weiterbildungspflichten
Seit 2014 gelten nach dem Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz umfangreiche Weiterbildungspflichten für Fahrer, deren Fahrertätigkeit die Haupttätigkeit ihrer Beschäftigung darstellt. Diese Weiterbildungspflichten mögen für hauptamtliche Berufskraftfahrer, der bundes- oder europaweit unterwegs sind, sinnvoll sein. Sie sind jedoch völlig überzogen für Kraftfahrer, die lediglich regionale Fahrten vornehmen. Die Weiterbildung ist mit einem erheblichen Aufwand von insgesamt 35 Unterrichtsstunden zu je 60 Minuten verbunden. Dies entspricht einem fünftägigen Lehrgang, der auf Seiten der Arbeitgeber zu erheblichen Lohnfortzahlungskosten führt. Hinzu kommen die Kosten für die Weiterbildungsseminare und die Umsatzueinbußen durch das Fehlen der Kraftfahrer im Betrieb. Die Weiterbildungspflicht nach dem Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz sollte deshalb reduziert werden.
Branchenspezifische Anliegen
Die Regelungen der Gewerbeabfallverordnung sollten dringend entschlackt und auf ein vertretbares Maß reduziert werden. Es kann nicht sein, dass auf der kleinsten Baumaßnahme die anfallenden Abfälle in 10 verschiedene Fraktionen getrennt und darüber auch noch Dokumentationen erstellt werden müssen. Dentalbeutel sollen keiner Systembeteiligungs- und Registrierungspflicht beim „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH (DSD)“ unterliegen.