04.2016

LFH-Stellungnahme zum gesetzlichen Mindestlohn

Stellungnahme des Unternehmerverbandes Handwerk NRW e.V. (LFH):

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1.1.2015 hat in zahlreichen Betrieben des Handwerks zu erheblichen administrativen Zusatzbelastungen geführt. So sind sie verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit ihrer geringfügig Beschäftigten zu dokumentieren und zwei Jahre lang aufzubewahren. Darüber hinaus sind die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) genannten Branchen verpflichtet (im Handwerk Baugewerbe, Gebäudereiniger und Fleischer), auch für alle übrigen Arbeitnehmer die tägliche Arbeitszeit in gleicher Weise zu dokumentieren. Nur Beschäftigte mit einem monatlichen Bruttoverdienst von über 2.958 Euro (seit Inkrafttreten der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung 2.000 Euro, wenn der Arbeitgeber dieses Monatsentgelt für die letzten vollen zwölf Monate nachweislich gezahlt hat) werden von den Aufzeichnungspflichten befreit. Aus Sicht des Unternehmerverbandes Handwerk NRW und der betroffenen Gewerke werden mit der derzeitigen Regelung alle Unternehmen mit unnötigen generalpräventiven Aufzeichnungspflichten belastet. Eine anlassbezogene Überprüfung von Betrieben bei Beschwerden wäre völlig ausreichend. Aufgrund einer ungenauen Definition im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ist derzeit vor allem das Fleischerhandwerk von ungerechtfertigten Dokumentationspflichten und Kontrollen durch die Zollbehörden betroffen. Eine vollumfängliche Dokumentation aller Arbeitszeiten im Fleischerhandwerk stellt eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung und Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen Unternehmen des Lebensmittelhandwerks mit identischen Betriebsstrukturen dar. Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung im Zuge weiteren Evaluierung des Gesetzes auch eine Neuregelung des § 2a SchwarzArbG, so dass die Betriebe des Fleischerhandwerks nicht mehr unter den Begriff „Fleischwirtschaft“ fallen. Bis dahin sollten die erweiterten Dokumentationspflichten für das Fleischerhandwerk mit sofortiger Wirkung ausgesetzt werden.

 

Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung

Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veranlassten Korrekturen an dem Vollzug des Mindestlohngesetzes (MiLoG) durch das Inkrafttreten der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLoDokV) zum 1.8.2016 sind aus Sicht des Unternehmerverbandes Handwerk NRW (LFH) zu begrüßen. Die Verordnung zielt darauf ab, Gruppen von Arbeitnehmern aus den nach §§ 16 und 17 Mindestlohngesetz (MiLoG) geltenden Aufzeichnungs- bzw. Meldepflichten herauszunehmen, bei denen auf Grund der Ausgestaltung und des Vollzugs ihres Arbeitsvertrages kein nennenswertes Risiko eines Mindestlohnverstoßes besteht bzw. eine Arbeitszeitaufzeichnung oder Meldung zur tatsächlichen Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs nicht erforderlich ist.

So entfallen fortan die Aufzeichnungs- und Meldepflichten, wenn der Arbeitnehmer mehr als 2.958 Euro bzw. 2.000 Euro pro Monat verdient, wobei im letzteren Fall der Arbeitgeber dieses Monatsentgelt in den vergangenen vollen 12 Monaten nachweislich gezahlt haben muss. Außerdem werden jetzt Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Kinder und Eltern des Arbeitgebers von den Arbeitszeitaufzeichnungs- und der Meldepflicht nach dem MiLoG und von den entsprechenden Pflichten nach den §§ 18 und 19 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes ausgenommen.

Eine Herabsetzung der Entgeltgrenze für den Entfall der Aufzeichnungspflicht auf 2.000,00 € führt zu einer erheblichen Erweiterung der Ausnahme von den Dokumentationspflichten. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn die Aufzeichnungspflicht bei allen Arbeitnehmern entfallen wären, die mehr als 10,00 € brutto in der Stunde verdienen. So hätte das BMAS sicherstellen können, dass auch Teilzeitkräfte angemessen von der Ausnahmeregelung berücksichtigt werden. Auch der Wegfall der Verbindung zum Arbeitszeitgesetz und die Herausnahme von Familienangehörigen stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar. Dennoch besteht über die Verordnung hinaus weiterhin Nachbesserungsbedarf in vielen Bereichen des Gesetzes. Dies betrifft aus Sicht des Unternehmerverbandes Handwerk NRW (LFH) eine Präzisierung des Branchenkataloges im Hinblick auf das Fleischerhandwerk in Abgrenzung zur Fleischindustrie in § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, aber auch eine Klarstellung bei der Auftraggeberhaftung sowie die Regelungen zu Praktikantenverträgen und die Vorgaben zur Führung von Arbeitszeitkonten.

Die Korrekturen stellen somit zwar einen ersten Schritt zur Entbürokratisierung des Gesetzes dar. Sie bleiben aber hinter dem gebotenen Änderungsbedarf zurück. Unverzichtbar bleibt für das Handwerk ganz besonders die gesetzliche Korrektur des § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, so dass die Betriebe des Fleischerhandwerks nicht mehr unter den Begriff „Fleischwirtschaft“ fallen.

 

Zu den Reformerfordernissen des Mindestlohngesetzes im einzelnen:

Abbau von Bürokratie und Dokumentationspflichten

Die Beschränkungen der Aufzeichnungspflichten für die Arbeitszeit von geringfügig Beschäftigten und aller Beschäftigten in den Branchen nach § 2a SchwarzArbG (im Handwerk das gesamte Baugewerbe , Gebäudereinigerhandwerk und Fleischerhandwerk) durch die Verordnungen des BMF für bestimmte mobile Arbeitnehmer und des BMAS für Beschäftigte mit einem monatlichen Bruttoverdienst von über 2.958 bzw. 2.000 Euro reichen zur Entlastung von Betrieben von administrativen Zusatzbelastungen nicht aus. Der Verweis in § 17 MiLoG auf § 2a SchwarzArbG ist zu streichen, da viele der dort aufgelisteten Branchen ohnehin schon über branchenspezifische Mindestlohnregelungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz entsprechenden Dokumentationspflichten unterliegen.

Situation im Fleischerhandwerk/Notwendige Abgrenzung zur Fleischindustrie

Zu den Branchen mit erweiterten Dokumentationspflichten gehört nach dem in § 2a SchwarzArbG aufgezählten Branchen auch die Fleischwirtschaft. Derzeit wird die Auffassung vertreten, dass hierzu auch das Fleischerhandwerk zu zählen ist. Damit unterwirft das Mindestlohngesetz die klein- und mittelständischen Betriebe des Fleischerhandwerks den gleichen Dokumentationspflichten wie die Schlacht- und Zerlegeindustrie. Da es sich bei handwerklichen Fleischereien aber fast ausnahmslos um Familienbetriebe mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von zehn Beschäftigten handelt, ist die Beschäftigtenstruktur von handwerklichen Metzgereien nicht mit der von international tätigen Konzernen der Schlacht- und Zerlegeindustrie vergleichbar. Zudem führt eine vollumfängliche Dokumentation aller Arbeitszeiten zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber den großen Ketten des Lebensmitteleinzelhandels, die nicht den erweiterten Dokumentationspflichten unterliegen.

12-monatige „Bewährungszeit“ abschaffen

Abzulehnen ist die Verbindung der Entgeltgrenze mit der in der Vergangenheit erfolgten Auszahlung des Betrags nach § 1 Abs. 1 S. 2 MiLoDokV. So sollen die Erleichterungen hinsichtlich der Dokumentations- und Meldepflichten nur dann greifen, wenn der Arbeitgeber das Monatsentgelt von mindestens 2.000 Euro in den letzten vollen zwölf Monaten nachweislich bezahlt hat. Hiermit werden Arbeitgeber erneut unnötig unter Generalverdacht gestellt, ihre Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß bezahlen zu wollen. Überdies erschließt sich unseren Betrieben die Logik dieser Auflage nicht. Aufgrund der unklaren Regelung hinsichtlich der Berechnung des 12-Monatszeitraums sollte eindeutig festgelegt werden, dass beispielsweise nicht schon die Inanspruchnahme von Elternzeit oder der Ausfall eines Arbeitnehmers wegen einer Langzeiterkrankung in bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen zur Folge hat, dass der maßgebende 12-Monatszeitraum unterbrochen wird und eine neue 12-monatige Bewährungszeit mit der entsprechenden Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung bei der Rückkehr der Arbeitnehmer neu in Gang gesetzt wird. Gleiches gilt für den Fall des Wechsels von einer Vollzeit- in eine Teilzeittätigkeit, wenn dadurch das Teilzeitarbeitsentgelt des Arbeitnehmers auf weniger als 2.000 Euro brutto pro Monat absinkt. Eine ähnliche Situation droht in Fällen, in denen der Arbeitnehmer Familienpflegezeit oder Pflegezeit beanspruchen möchte und er seine Arbeitszeit entsprechend reduziert.

Erleichterung der Auftraggeberhaftung

Die verschuldensunabhängige und ohne Exkulpationsmöglichkeiten versehene Haftungsregelung in § 13 MiLoG führt dazu, dass die kleinen Betriebe des Handwerks als Nachunternehmer mit Freistellungserklärungen ihrer Auftraggeber überhäuft werden. Diese wollen das Haftungsrisiko für ein etwaiges Unterlaufen des gesetzlichen Mindestlohns durch die von ihnen beauftragten Nachunternehmer komplett abwälzen. Häufig verlangen die Auftraggeber sogar Bankbürgschaften, die die kleinen Betriebe des Handwerks vollkommen überfordern. Wie in den ersten Entwürfen zum Mindestlohngesetz vorgesehen, sollte die Haftung des Auftraggebers auf die Fälle beschränkt werden, in denen er positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von einer Nichtzahlung des Mindestlohnes hatte. Eine solche Regelung würde wieder die notwendige Vertrauensbasis zwischen den Unternehmen schaffen und sowohl Auftraggeber als auch Nachunternehmer von unnötigen bürokratischen Belastungen befreien.

Praktikanten

Die Möglichkeiten, mehrere mindestlohnfreie freiwillige Praktika auch zeitlich versetzt in demselben Ausbildungsbetrieb zu absolvieren, werden durch das Mindestlohngesetz erheblich eingeschränkt. Eine solche Zusammenrechnung einzelner Praktika bei demselben ausbildenden Betrieb läuft den Erfordernissen einer umfassenden Berufsbildungsvorbereitung junger Menschen zuwider. Diese allgemeine „Vor-Praktikumsverbot“ ist analog des „Vorbeschäftigungsverbots“ bei befristeten Arbeitsverhältnissen wenn nicht aufzuheben, dann zumindest zeitlich zu befristen auf maximal zwei Jahre.

Flexiblere Handhabung der Regelung zu Arbeitszeitkonten

Gerade für Dienstleistungsbranchen mit saisonalen Auftragsspitzen ist die jetzige Regelung in § 2 MiLoG zur Führung von Arbeitszeitkonten zu eng. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit zur Überschreitung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von monatlich höchstens 50%. Um diese saisonalen Schwankungen auszugleichen, ist es insbesondere bei Teilzeitkräften nötig, hier einen flexiblen Rahmen gesetzlich festzulegen. So sollte zumindest eine tarifvertragliche Öffnungsklausel vorgesehen werden.

Fazit

Berechtigte Klagen der Betriebe des Handwerks über Rechtsunsicherheiten und bürokratische Belastungen durch den gesetzlichen Mindestlohn dürfen nicht als Vorwand für einen Generalverdacht herhalten, die Betriebe wollten nur den Mindestlohn umgehen. Das Handwerk steht zu den gesetzlichen Verpflichtungen. Diese müssen aber auf die Identifizierung der „schwarzen Schafe“ zielen und nicht dazu führen, dass alle Betriebe mit unnötigen generalpräventiven Aufzeichnungspflichten belastet werden. Die Situation im Fleischerhandwerk zeigt exemplarisch die Probleme auf, die mit der Einführung der erweiterten Dokumentationspflichten verbunden sind. Aufgrund einer ungenauen Definition im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz war seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes das Fleischerhandwerk von ungerechtfertigten Dokumentationspflichten und Kontrollen durch die Zollbehörden betroffen. Diese betreffen auch zahlreiche weitere Branchen des Handwerks. Hier müssen dringend Lösungen gefunden werden, die Handwerksbetriebe von unverhältnismäßiger Aufzeichnungsbürokratie verschonen. Von besonderer Dringlichkeit ist  zunächst eine Klarstellung für die Betriebe des Fleischerhandwerks. Der Unternehmerverband Handwerk NRW lehnt die aus den Reihen des Deutschen Gewerkschaftsbundes aufgestellte Forderung mit Entschiedenheit ab, neben den bisher neun Branchen zukünftig auch das Bäcker- und das Fleischerhandwerk sowie den Einzelhandel in das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufzunehmen. Wichtig ist aus unserer Sicht vielmehr, die unverhältnismäßigen und geschäftsschädigenden Mindestlohnkontrollen durch bewaffnete Zollbehörden in den Handwerksbetrieben so schnell wie möglich zu beenden.  

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